W. Büttner
Ars pro Vita

von Wolfgang Büttner

Nun war es endlich soweit. Das kolossale Bassin hatte man bis zum Rand geflutet, sodass die noble Gesellschaft ihrem Pläsier frönen und im Weine, dem Schäumenden, baden konnte. Bestes Kaiserwetter herrschte zum Geburtstag der Monarchin, wie es zu erwarten war in einem Landstrich, in dem die Sonne sich täglich am Firmament zeigte. In Beckennähe befand sich das Buffet mit Marzipantorte neben kandierter gewürfelter Mangostane in Aprikosensaft sowie Sapotillenkuchen. Die Gäste drängten sich, dass kein Blatt Papier mehr zwischen zwei von ihnen hindurch passte, wovon ich mich leicht überzeugen konnte; Wissenschaftler sind zu allen Zeiten ihren Studienobjekten nahe gewesen.

 
 

Der Oberküchenmeister überraschte ihre Majestät mit einer vorzüglichen Extra-Geburtstagstorte mit Preiselbeeren, von der sie mir gleichfalls anbot. Zögernd entschied ich mich für ein Tortenstück, von dem ich gerade mal die Hälfte schaffte. Den Rest ließ ich mir einpacken. Hier bewahrheitete sich aufs Neue der Spruch der Genießer „Leben allein reicht nicht – man muss schließlich auch zu leben verstehen“.

Von der Feuchtigkeit angezogen, flatterten über dem Bassinstadion rosa Schmetterlinge. Prinzessin Astra spielte mit Harlekino, dem Hofnarren, und mir Ball im Bassin, derweil die älteren Semester der hohen Gesellschaft am Beckenrand plauderten, sofern sie sich nicht Torte munden ließen oder einfach im prickelnden Nass entspannten. Der Affe des Königs verfolgte vom Schwimmbeckenrand aus das bunte Treiben. Beide Königlichen Hoheiten, wie gewöhnlich würdevoll, krönten mit ihrer Anwesenheit die Veranstaltung.

Einer der rosafarbenen Falter trieb mit ausgebreiteten Flügeln, wehrlos dem Wellenspiel ausgeliefert, drei Ellen vor Prinzessin Astra entfernt im Bassin. Da sie ihn so hilflos in den Wellen schaukeln sah – er muss wohl bei unserem Spiel nass gespritzt worden sein –, nahm die Königstochter ihn behutsam auf ihre Hand, brachte ihn zum Beckenrand, wo sie ihn sanft ablegte, damit er seine Flügel daselbst auf den warmen Fliesen trocknen lassen könne.

Es dauerte gar nicht lange, da machte der Schmetterling sich auf und davon.

Als die Geburtstagsgesellschaft dem Schwimmbecken entstiegen, von den Dienern abgetrocknet, sich angekleidet – das Herrscherpaar in purpurfarbenen goldbestickten Seidengewändern mit den Verzierungen des Königshauses – sowie das mit funkelnden Edelsteinen nebst Bernstein besetzte Goldgeschmeide (zumeist in Haifischform) von neuem angelegt hatte, durften, wie es hieß nach alter Tradition sogar Sklaven im verwässerten Alkohol baden.

Dass Untertanen so niederen Standes sich im selben Sektwasser tummeln durften wie die vornehmen Adligen und selbst ihr Herrscher und Gebieter, dünkte mich eine Geste der Wertschätzung – eine Gunst, die selbst in höher entwickelten Gesellschaften nicht jedermann zuteil wird.

Über dem Bassin glomm der Umriss der Wolken. Auf einen Wink des Königs hin zog der Zeremonienmeister flugs an einer rostigen, mit Grünspan überzogenen Kette, worauf etwas silbriges durchs Wasser schnitt. Ein Hai.

Seine Rückenflosse ragte aus dem prickelnden Schampus, in dem ich selber eben noch schwamm und sogar ein zartes, verwundbares Wesen wie die Prinzessin. Ich traute meinen Augen nicht. Unversehens tauchte überdies ein Tier von ziemlichen Ausmaßen darin auf – allem Anschein nach ein Alligator.

Die Unfreien im Bassin, drei an der Zahl, durften nun zum Vergnügen der buntscheckigen Hofgesellschaft um ihr Leben schwimmen. Der Haifisch durchpflügte das kühle Nass und umkreiste sie.

Mir fiel das blitzende Messer zwischen den Zähnen der Sklaven auf. Erst schäumte das Sektwasser, später verfärbte es sich. Mehrmals drehte sich der Alligator mühlradartig um seine eigene Achse. Und da trieb der Hai im Schwimmbad auf einmal mit seinem weißen Bauch nach oben. Rot stand der Stern am Himmel.

Mir lief ein Schauer über den Rücken; das Blut gefror mir in meinen Adern.

Nicht nur der Hofmarschall klopfte sich dabei aus lauter Freude auf die Schenkel. Die meisten Besucher und die neben ihm sitzenden Spießgesellen taten es ihm gleich. Seine Königliche Majestät, von drei Leibwächtern flankiert, ergötzte sich; beständig streichelte er sein Äffchen. Prinzessin Astra, die mit Harlekino, mir und weiteren Gästen zwei Reihen entfernt von der Kampfarena saß, vermochte sich angesichts der Grausamkeiten nicht zu amüsieren. Die Prinzessin wendete den Blick vom barbarischen Geschehen ab. Wir schauten uns beklommen an. Mir wollte die Torte wieder aus dem Gesicht fallen.

Für die geschundenen Sklaven war ein Verlassen des Beckens vor Ende des makaberen Spektakels ausgeschlossen; Aufseher verhinderten dies gemeinsam mit Lanzenträgern. Opfer wurden sie und Hauptdarsteller zugleich, bei diesem gnadenlosen Treiben zum Abgrund hin, jene armen Unfreien.

Wie heißt es doch bei Schopenhauer: „Alles Leben ist Leiden“.

Einer von den Dreien – schwarz wie ein Mohr und wohl verletzt – krallte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht und außer Atem krampfhaft am Bassinrand fest.

Der Hofmarschall mit einem Gesicht wie aus Marmor wird dies gewahr, springt auf und geht zu ihm ans Becken. Erst begreife ich nicht; ich denke, er wolle ihm helfen. Jener indes tritt ihm stattdessen auf die Hände. Der Sklave wird schwach oder irgendwas zieht an ihm, jedenfalls sinkt er in die Tiefe.

Des Marschalls Standbein kommt dabei ins Rutschen, sodass jener das Gleichgewicht verliert. Er droht ins kühle Nass zu kippen, auf dessen Oberfläche Exkremente schwimmen.

Ein herbei gesprungener Wächter des Königs vermag ihn eben noch im letzten Moment vor einem Bad mit dem unter der Oberfläche lauernden Alligator * zu retten, ohne selbst hineingezogen zu werden.

Mittlerweile war der frenetische Lärm der Menge verstummt. Ängstliche Stille schien jeden Atem festzuhalten. Entsetzt stand das Publikum auf und blieb so wie versteinert stehen. Der Marschall drehte sich nach seinem Missgeschick nicht um, blickte nicht zurück, währenddessen er sich an seinen Platz verfügte.

Zwei Diener entfernten eilig das Geschirr vom Bassinrand. Daraufhin wusste Harlekino nun, mutig wie er war, die Zuschauer mit einer besonderen Einlage zu überraschen. Er lief um das Bassin herum, jedoch auf Händen, höchstens eine Elle entfernt vom Beckenrand. Die Prinzessin machte ein besorgtes Gesicht, zumal der Alligator, eine Spezies mit acht Gliedmaßen, dauernd neben ihm schwamm. Dabei nahm das Biest ihn fest ins Auge, sofern es auftauchte. Hob sie den Kopf, schnellte ihre gespaltene Zunge hervor. Vielleicht erhoffte sie sich übrig gebliebene Torte von Harlekino. Vertreter dieser Art lassen sich nicht zähmen; sie bleiben ein Leben lang wild, sind immerzu bissig. Bei Ärger wechseln Alligatoren ihre Farbe.

Einer der anwesenden Knappen hob die Hände empor, andere rangen sie leise vor Bewunderung, wieder andere ergriffen sich bei denselben oder drückten ihren Nebenmann. Die Hofdame neben mir begann heftig zu schluchzen, weitere Edelfrauen fielen in Ohnmacht. Ein Rittersmann, hat mir später gesagt, ihm seien die Tränen herabgeronnen.

Ekelgeruch lag in der Atmosphäre vom Maul des Alligators ausgehend oder dem Haikadaver, auf dem sich Vögel niedergelassen hatten. Fauliger Geruch geht auch von den Exkrementen im Wasser aus.

Kurz vor Abschluss des Rundlaufes huscht der Affe unter Harlekino, zwischen seinen Armen, hindurch. Klein Harlekino schwankt. Ich höre seinen schweren Atem. Es ist unklar, ob es verabredet – also Übungsbestandteil ist – oder ob der Schalk gar schwächelt.

Entsetzen spiegelt sich in den Gesichtern wider. Plötzlich schlägt die Hautfarbe des Reptils von dunkelbraun zu gelborange um. Prinzessin Astra erstarrt. In den Adern stockt der Lebenssaft. Das Ganze vibriert vor Spannung; man könnte Tränen zu Boden fallen hören in diesem Rundbau, in dem selbst in den obersten Reihen das kleinste Geräusch hörbar ist.

Der gelenkige Harlekino, noch schwankend, fängt sich, bleibt auf seinen Händen stehen, verharrt … und … setzt seine Promenade fort.

Zu unserer Erleichterung hatte er sich gleich wieder unter Kontrolle. Schon machte der Artist souverän die Runde perfekt. Und das ohne auch nur ein einziges Mal abzusetzen.

Bravo, bravo!

Verzückt klatschte der Zeremonienmeister in die Hände nach solch gewagter Kür, indessen zahlreiche Zuschauer sich erst einmal von diesem Schrecken erholen mussten. Nun wurde die Wirkung auf so manche Seelen erst sichtbar. Nach dem ersten Verstummen einiger Aufschreie vernahm man Laute der Bewunderung und des Erstaunens.

Scheinbar verzückt, um nicht zu sagen enthusiasmiert, schrie der Hofmarschall mit gellender Stimme: „da capo, da capo.“

Der König indes schnipste kurz mit den Fingern; schon war dem Spektakel ein Ende gesetzt, sodass Harlekino ausruhen konnte, statt auf Wunsch eines Einzelnen noch einmal die Runde drehen zu müssen. Er – noch völlig außer Atem – wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Der Hofnarr verbeugte sich tief vor beiden Majestäten und nahm dabei den tosenden Beifall der jubelnden Menge entgegen. Zuvor bedankten sich König und Königin bei ihm auf ihre Weise für seine akrobatische Darbietung.

Dieser Teil der Geburtstagsfeier nahm mithin einen glücklicheren Ausgang. Das blutige Schaumweinwasser wurde aus dem Bassin abgelassen, der inzwischen träge gewordene Alligator eingefangen, Kadaver und abgenagte Gerippe fortgeschafft.

Von der Vorstellung ermüdet, ließen sich der Herrscher zusammen mit seiner Gemahlin in ihrer doppelsitzigen Sänfte hoch ins Schloss tragen. Daselbst gelüstete es ihnen geruhsam meditative Innenschau zu halten. Der Kammerjäger hatte die Sänfte, deren Baldachin aus golddurchwirktem Brokat prächtig rotgolden glänzte, vorher wieder mühsam von den lästigen satanischen Käfern befreit. Zuerst sprang der Affe in die Sänfte. Diener trugen die golden bestickte Schleppe, die die Königin nach dem Bade nicht mehr angelegt hatte, hinterher.

Das königliche Paar schlief in der geräumigen Sänfte ein. Dies mag an dem üppigen Geburtstagsschmaus gelegen haben; vom Regieren und Zepter schwingen konnte es nicht sein.

Immerhin galt der Geburtstag der Königin für jeden als Feiertag – im ganzen Land. Fortan konnte wieder gearbeitet sowie der Reichtum des Königshauses durch das untertänige Volk emsig vermehrt werden, denn es war innigster Wunsch des erlauchten Herrscherpaares, zu Lebzeiten die Fertigstellung seines Mausoleums erleben zu dürfen.

Ausgeruht vermochten beide nach dem Mittagsschlaf dem Hofball zu später Stunde entgegenzusehen – alsdann in wesentlich aufwändigerer Kostümierung.

* Alligatoren besitzen dort, wie der bei uns lebende Waran, im Unterkiefer eine Giftdrüse. Das Gift ist schwächer als das des Warans. Sie fressen alles, was ihnen in den Weg kommt. Je tiefer ihre Laute klingen, umso größer sind sie.